[dropcap]D[/dropcap]ie Resistenza zählt zu den größten revolutionären Bewegungen der letzten 100 Jahre. Adelmo Cervis Buch „Meine 7 Väter“ erzählt ein ganz besonderes Kapitel dieses Befreiungskampfes.

Autor Adelmo Cervi und Übersetzer Genot Trausmuth.
Autor Adelmo Cervi und Übersetzer Genot Trausmuth.

Die Linke in Italien durchlebt im Vergleich zu Spanien, Griechenland, Portugal wahre Hundstage. Von der einstigen Größe der kommunistischen Bewegung ist nur noch wenig zu sehen. Die Bewegung ist in unzählige kleinere Parteien und Organisationen zersplittert, die im Klassenkampf kaum eine nennenswerte Rolle spielen. Doch die Ideale der einstmals größten kommunistischen Partei in Westeuropa sind immer noch lebendig. Zu stark verankert sind im kollektiven Gedächtnis die revolutionären Traditionen der Resistenza, aber auch der Arbeitskämpfe von 1969-1980.

Wie kaum ein anderer Name steht jener der Familie Cervi für diese Geschichte. Die Cervis waren katholische Bauern aus der Emilia, deren sieben Söhne 1943 eine der ersten Partisanengruppen bildeten, in den Bergen den bewaffneten Widerstand gegen Mussolini und die deutsche Wehrmacht organisierten und gemeinsam von den Faschisten hingerichtet wurden. Nach dem Krieg wurde die Gebrüder Cervi zu einem Mythos, und ihr Vater, der die Haft überlebt hatte, wurde zum „Papa aller AntifaschistInnen“ erhoben. Aufgrund ihrer bäuerlichen Herkunft eigneten sie sich aus Sicht der stalinistischen Parteispitze hervorragend als Symbolfiguren eines Bildes der Resistenza, die nach dem Krieg als nationale, klassenübergreifende Volksfront gezeichnet wurde.

Mit seinem sehr persönlichen Buch „Meine 7 Väter“ geht Adelmo Cervi, der Sohn von Aldo, dem politischen Kopf der Gebrüder Cervi, daran diesen Mythos zu zerstören und das wahre politische Erbe seines Vaters zu verteidigen. Wenn Adelmo in seinen Vorträgen den Wandlungsprozess seines Vaters vom praktizierenden Katholiken zum kommunistischen Freiheitskämpfer beschreibt, dann sagt er: „Aldo hat sich im Gefängnis in die Ideen der russischen Revolution verliebt“. Rätedemokratie, Internationalismus, die Einsicht, dass die Arbeiterklasse und die Bauernschaft ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen können und keine Adeligen, Grundbesitzer und Fabriksherren benötigen, eröffneten ihm eine völlige neue Sicht auf die Welt. Das Streben nach Gerechtigkeit, das er ihn Form der Botschaft des Evangeliums und den Gute Nacht-Geschichten der Mutter von klein auf mitbekommen hat, erhielt nun eine wissenschaftliche Perspektive und wurde so zur treibenden Kraft für sein ganzes Tun und Handeln. Anhand des Beispiels von Aldo Cervi lässt sich erahnen, wie eine Generation von antifaschistischen WiderstandskämpferInnen reifen konnte, sodass sie Unvorstellbares im Kampf für die Befreiung leisten konnten und dabei sogar ihr Leben aufs Spiel setzten.

Adelmo Cervi lässt keinen Zweifel daran, für welche Form von Befreiung sein Vater und die italienischen Partisanen allgemein damals kämpften. Es ging ihnen nicht nur um die Befreiung von der deutschen Besatzungsmacht, auch nicht nur um den Sturz des italienischen Faschismus, sondern um die Beseitigung der gesamten gesellschaftlichen Ordnung, die den Faschismus überhaupt erst hervorgebracht hatte. Die PartisanInnen waren großteils RevolutionärInnen, deren Ziel der Sturz des Kapitalismus war. Aldo Cervi und seine GenossInnen waren beseelt von dieser Perspektive. Die Erfolge der Roten Armee nach dem Sieg bei Stalingrad gaben ihnen die Kraft, den Kampf dafür mit ganzer Entschlossenheit zu führen. Umso schwieriger musste es für sie gewesen sein, den Widerspruch zwischen Wort und Tat zu verstehen, der die Politik der KPI damals kennzeichnete. Die Volksfronttaktik hatte in Italien ganz abstruse Formen angenommen, war man doch bereit zu Bündnissen mit den Monarchisten und mit Teilen der faschistischen Hierarchie, die aufgrund dessen, dass die militärische Niederlage Italiens im Zweiten Weltkrieg absehbar war, von Mussolini abgerückt waren und sich auf die Seite der westlichen Alliierten schlagen wollten. Das waren dieselben Herrschaften, die auf streikende und demonstrierende ArbeiterInnen schießen ließen, weil diese Brot und Frieden einforderten.

Einfache Parteimitglieder wie Aldo Cervi, die in den Dörfern kommunistische Zellen aufzubauen versuchten, hatten unter den Bedingungen der Illegalität naturgemäß keinen Einblick in die Debatten innerhalb der kommunistischen Weltbewegung. Sie konnten sich nur durch das Hören illegaler Radiosender und durch die gefilterten Informationen der eigenen Parteipresse ein Bild machen. Zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der strategischen Ausrichtung der Moskauer Bürokratie unter Stalin und der ihr hörigen Führung der KPI waren sie nicht imstande. Instinktiv gerieten sie aber wie viele andere revolutionär gesinnte WiderstandskämpferInnen immer wieder in Konflikt mit der stalinistischen Parteilinie, was letztlich auch ihr Todesurteil war.

Die Cervis waren Menschen der Tat. Jahrelang hatten sie durch die Arbeit in der Landwirtschaft gezeigt, dass sie anpacken können. Dass sie dabei so viel erreichten, war aber auch das Produkt einer für die damalige Bauernschaft völlig untypischen Arbeitsweise. Im Gefängnis lernte Aldo Cervi nämlich nicht nur die kommunistische Theorie kennen, sondern begann sich auch mit agrarwissenschaftlicher Fachliteratur auseinanderzusetzen. Zurück am Hof der Familie wurde das neue Wissen in der Praxis angewandt, oft zum Unverständnis des Grundeigentümers aber auch der anderen Bauern aus der Nachbarschaft. Die Cervis wurden deshalb von vielen als verrückt erklärt, wovon sie sich aber nicht beirren ließen. Die Einsicht in die Notwendigkeit war sowohl in der Landwirtschaft wie in der Politik stärker als die Meinung „der anderen“. Dies war auch der Motor, der sie dazu befähigte aus eigenem Antrieb, ohne und oft gegen die Beschlüsse der Parteiführung, Großes für die Widerstandsbewegung zu leisten – egal ob in der Fluchthilfe für Dutzende politisch Verfolgte und geflohene Kriegsgefangene oder beim Aufbau einer ersten bewaffneten Partisaneneinheit. Dass diese Widerstandsgruppe übrigens eine kleine internationale Brigade war, ist besonders bemerkenswert und widerspricht in einem weiteren Punkt der Idee von einem rein nationalen Befreiungskampf gegen die Nazis.

„Meine 7 Väter“ erzählt kein Heldenepos, sondern die Geschichte von WiderstandskämpferInnen, deren Verdienst es war, das zu tun, was damals notwendig war, um der menschlichen Würde und der Idee von einer Welt der Gerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen. Es ist die Geschichte von kleinen und großen Akten des Widerstands, von Menschen, Männern UND Frauen, die sich auf vielfältigste und oft sehr kreative und humorvolle Art und Weise quergestellt haben und dadurch noch heute Menschen Hoffnung geben können.

Dieser Artikel wurde ursprünglich am 13. Juli 2016 auf derfunke.at veröffentlicht.