Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank, versuchte, wie die Shakespear’schen Charaktere Glendower und Hotspur, Geister aus der Tiefe zu beschwören: „Ich werde tun, was immer es braucht“, sagte er vor einigen Jahren. Diese Geister sollten den Euro retten und das Wachstum wiederherstellen. Während sich der Euro vorübergehend stabilisiert hat, vertiefte sich die europäische Krise. Jetzt droht sie, die Europäische Union, wie Japan in den 90er Jahren, in eine alptraumhafte Deflation zu stürzen. [Teil 2]

GLENDOWER: Ich rufe Geister aus der wüsten Tiefe.

PERCY: Ei ja, das kann ich auch, das kann ein jeder. Doch kommen sie, wenn Ihr nach ihnen ruft?

(Shakespeare, Henry IV, Teil 1)

KriseDie meisten bürgerlichen Ökonomen glauben, dass das Wohlergehen der Kapitalisten von „Vertrauen“ abhängt, als ob ein paar gute Worte von Draghi alles wieder gut machen könnten. Aber sogar die Financial Times hat nüchtern zugegeben, dass „Befindlichkeiten wichtig sind, aber man kann keine wirtschaftliche Erholung heraufbeschwören, indem man die Vertrauens-Fee ruft.“ (FT, 21/8/14) Draghi wurde zum Jungen, der immer  „Hilfe, Wolf” rief: „Die Erholung kommt”, wiederholt er. Aber niemand glaubt ihm mehr, auch nicht das Elite-Publikum in Jackson Hole Ende August (wo die Federal Reserve Bank of Kansas City seit 1978 ihr jährliches Wirtschaftsstrategiesymposium, eine Art Davos für die Banker der Welt, abhält).

Sechs Jahre nach dem Kollaps von Lehman Brothers betrifft die globale Krise weite Teile der Welt, insbesondere ihre schwächsten Glieder. Europa steckt tief in der Krise. China ist in grossen Schwierigkeiten, genau wie Japan, dessen Wirtschaft im letzten Quartal um 6.8% schrumpfte, während das Wachstum in den BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) zurückging. Die Vereinigten Staaten dümpeln bei weniger als 2% Wachstum vor sich hin, die kurzfristige Euphorie wurde durch die Arbeitsmarktzahlen des letzten Monats (August `14) enttäuscht.

Es gibt klare objektive Gründe für diese andauernde Krise. Turmhohe Schuldenberge, Massenarbeitslosigkeit, drastische Einbrüche der Nachfrage, Austerität und rückläufige Investitionen: All das führt zu einem Rückgang der Wirtschaft. Das europäische BIP ist immer noch tiefer als 2008. Diese Tatsachen widerspiegeln den aktuellen Zustand des kapitalistischen Systems. Sogar bürgerliche Ökonomen, allen voran Lawrence Summers, haben den Begriff „secular stagnation“ geprägt um die Situation zu beschrieben. Das bedeutet, dass wir Jahrzehnten der Stagnation entgegengehen. „Wir verbleiben möglicherweise für eine lange Zeit in einem Umfeld mit tiefem Wachstum und niedriger Inflation“, stellt Fergus McCormick, Senior-Vizepräsident der kanadischen Ratingagentur DBRS fest (FT, 5/9/14). Das ist, was MarxistInnen als sich hinziehende organische Krise des Kapitalismus bezeichnen.

Hinzu kommen überall ernsthafte geopolitische Spannungen, welche gemäss Joe Käser, CEO von Siemens, „ernsthafte Bedrohungen“ für Europas Wachstum in diesem und im nächsten Jahr darstellen. Dies zeigt, wie explosiv die Verknüpfung zwischen der Politik und der Wirtschaft ist. Die Krise in der Ukraine bedeutet, dass bis zu 19 Mia US-Dollar zusätzliches internationales Finanzkapital benötigt wird, um einen Einbruch von 6.5% in diesem Jahr auszugleichen, nachdem 17 Mia US-Dollar. bereits gesprochen wurden. Die deutsche Industrie erwartet einen Exportrückgang nach Russland von 20-25% für dieses Jahr.

Bürgerliche Ökonomen definieren eine Rezession als zwei aufeinanderfolgende Quartale mit sinkender Produktion. Diese enge Definition beschreibt jedoch den wirklichen Charakter der derzeitigen verlängerten Krise nicht. Einige versuchten deshalb, ihre Definition anzupassen um ein breiteres Spektrum zu erfassen. Sie warnten, dass die Anzeichen einer dürftigen Erholung in der Eurozone seit 2013 nicht genügen würden, um das Ende der Double-dip-Rezession zu verkünden, die im dritten Quartal 2011 begann. Sie stellten richtigerweise fest, dass sich die Wirtschaft ins Gegenteil verkehren oder dass die Stagnation zum neuen, unbequemen Normalzustand der Eurozone werden könnte.

Die Zahlen der Eurozone für das zweite Quartal waren schockierend und zeigen, dass die Wirtschaft zitternd zum Stillstand gekommen ist. Die deutsche Wirtschaft verzeichnete kein Wachstum zwischen April und Juni und die Investitionen gingen zurück. Italien fiel zum dritten Mal seit 2008 in eine Rezession. Frankreich stagnierte, was bedeutet, dass keine der grössten Volkswirtschaften der Eurozone irgendein Wachstum zu verzeichnen hatte. Die FT erklärt: „Dies ist keine Erholung, nicht einmal eine schwache. Es ist auch kein Rückfall in die Rezession. Dies ist eine andauernde Stagnation.“ Weiter erklärt sie, dass keine der vorgeschlagenen Massnahmen – die Wiederherstellung des Kreditsystems, Reformen der Staatsausgaben und des Steuerwesens, Flexibilisierung des Arbeitsmarkts – die Eurozone aus der Stagnation befreit. „Das akute, drückende Problem ist die eingefrorene Nachfrage“, heisst es (FT, 21/8/14).

Die EZB schritt ein und senkte die Zinsen ins Negative. So müssen die Leute Geld bezahlen, damit ihr Erspartes auf der Bank bleibt Jetzt haben diese Massnahmen ihre Grenze erreicht. Die EZB plant auch, grosse Mengen verbriefte und verpfändete Kredite, auch bekannt als „toxic sludge“, (erinnert sich jemand an amerikanische ,Sub Prime Kredite‘?) zu kaufen, eine vergebliche Hoffnung auf steigende Kreditvergabe. Diese Massnahmen werden keinen oder nur einen geringen Effekt haben. Was jetzt noch bleibt ist Quantitative Easing wie in den USA, in Japan und Grossbritannien. Aber die Deutschen sind dagegen, und ohne sie kommt eine solche Entscheidung nicht zustande. In jedem Fall würde QE nicht helfen und die Dinge sogar noch verschlechtern. „Es ist genau diese Art von ‚Zombie Krediten‘, die das Wachstum in Japan vor über einem Jahrzehnt gedrosselt haben“, schreibt Michael Heise, Chef-Ökonom der Allianz (FT, 4/9/14).

Sogar ein Editorial der Financial Times musste eingestehen: „In Anbetracht des Elends der Eurozone ist es nun fraglich, ob erweiterte monetäre Massnahmen alleine die Nachfrage erhalten können“ (FT, 5/9/14). Ihnen sind die Optionen ausgegangen. Angesichts der Widersprüche wird alles, was sie tun werden, falsch sein. Möglicherweise werden sie aus Verzweiflung gezwungen sein, QE anzuwenden, aber das ist kein Ausweg. „Europas Probleme ist struktureller Natur und QE wird sie nicht lösen“, konstatiert Philipp Hildebrand, ehemaliger Vorsitzender des Schweizer Zentralbankrates.

Der Kapitalismus schneidet die Äste ab, auf denen er sitzt. Er wird von der Logik des Systems gezwungen, die ArbeiterInnen überall anzugreifen, die Realeinkommen zu kürzen und damit den Absatzmarkt zu verkleinern. In den OECD-Ländern als Ganzes – namentlich die Kernländer des Kapitalismus – stagnierten die Realeinkommen zwischen 2010 und 2013. In anderen Ländern wie Griechenland, Irland, Slowenien und Spanien (und Grossbritannien) sanken die Realeinkommen um 2% bis 5% durchschnittlich pro Jahr. In den USA blieben die Realeinkommen für ArbeiterInnen mit mittlerem Einkommen zwischen 1979 und 2012 konstant, aber für die unteren 20% fielen sie. Zwischen 2010 und 2013 ging der Median der Familieneinkommen der USA um 5% zurück.

Die Idee der Keynesianer, dass Gehaltserhöhungen das Problem lösen werden, geht am zentralen Punkt vorbei.Die kapitalistische Produktion wird durch Profite angetrieben. Gehaltserhöhungen führen zu massiven Einschränkungen der Profite, was die Investitionen weiter senken und die Krise vertiefen würde. Der gesamte Kapitalismus befindet sich in einem Teufelskreis, aus dem es kein Entkommen gibt.

„Jede weitere Lohnsenkung wäre kontraproduktiv, weil wir in einen Teufelskreis aus Deflation, niedrigeren Konsum und niedrigere Investitionen eintreten würden“, stellt Stefano Scarpetto, Verantwortlicher für Beschäftigung, Arbeit und Soziales der OECD, fest. Das einzige Problem ist, dass wir uns bereits in einem solchen Teufelskreislauf befinden. Was sonst beschreibt die aktuelle Situation?

„Der letzte Grund aller wirklichen Krisen bleibt immer die Armut und Konsumtionsbeschränkung der Massen gegenüber dem Trieb der kapitalistischen Produktion, die Produktivkräfte so zu entwickeln, als ob nur die absolute Konsumtionsfähigkeit der Gesellschaft ihre Grenze bilde“, erklärte Marx (Das Kapital, Vol.3)

[Teil 2]

Dies ist ein Artikel von marxist.com das original findest du hier